Vorwort zum Katalog
Mit dem Projekt HAFENARBEITER – FROM DUSK TILL DAWN tragen wir der veränderten und sich weiterhin stetig wandelnden Arbeitssituation im Stadthafen von Münster Rechnung. Der Hafen als Umschlagplatz nicht mehr nur von Gütern, sondern auch von Ideen gibt zahlreichen neuen Berufsgruppen Raum. Nicht mehr der Schauermann, sondern Kellner und Künstler, Werbeleute, Architekten, Verleger, Techniker und viele andere prägen das temporäre Bild. Sie alle sind die zeitgenössischen Hafenarbeiter. Stellvertretend für unterschiedliche Berufsgruppen haben wir für das Projekt HAFENARBEITER ausgewählte Personen fotografiert. Die entstandenen Schwarzweißportraits werden als Großprojektionen nachts an geeignete Gebäudeflächen im Hafengebiet geworfen. Die Lichtbilder materialisieren sich bei Einbruch der Dunkelheit allmählich, um in der Nacht hell und gleichsam entrückt wie Gestirne zu erstrahlen. Mit dem Tagesanbruch entziehen sie sich wieder der Wahrnehmung und lösen sich auf im Ungewissen.
Über die große Zustimmung zu unserem Projekt HAFENARBEITER – FROM DUSK TILL DAWN unter den vielen im Hafengebiet angesiedelten Unternehmen haben wir uns sehr gefreut. Wir danken unseren Sponsoren, die durch ihr Engagement geholfen haben, das Projekt zu verwirklichen. Und wir danken den 22 portraitierten Hafenarbeitern für ihr Vertrauen.
Text: Susanne Koheil | Günter Wintgens
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Das Schöne ist ein Schein der zeitlichen Wirklichkeit.
August Strindberg
Im kompromisslos abgesteckten Imageraster der Stadt Münster markiert der Innenhafen an der Schnittkante zum Zentrum bedeutende Koordinaten. Noch vor zehn Jahren der Stadtbevölkerung weitgehend unbekannt oder als marodes Außenareal gemieden, avancierte das überschaubare Gebiet seit der Jahrtausendwende zum städteplanerischen und kommerziellen Filetstück. Gleichwohl verbale Überschwenglichkeiten der Pionierzeit, etwa "Kreativkai", glücklich überwunden sind, besteht die Zwiespältigkeit des Vorzeigequartiers ungebrochen. Einerseits manifestiert sich hier das scheinbar zwangsläufige urbane Format eines schnelllebig inszenierten Freizeithedonismus in der sentimentalen Kulisse kernsanierter Speicherbauten, pseudomodernistischer Büro- und Kreativzonen sowie ausufernder Retorten- und Szenegastronomie durchsetzt von kontrolliert verfallenden Brachen. Andererseits wird das Areal vor allem von Anwohnern und außenstehenden Geschäftsleuten mit empörtem Argwohn beäugt. Aber gerade die anhaltende Ambivalenz aus kategorischer Ablehnung und beängstigender Affirmation erklärt den Hafen zum potentiell identitätsstiftenden Ort der jüngsten Stadtgeschichte.
Im Rahmen einer planmäßig politisch verordneten kommunalen Identitätsklärung wird seit geraumer Zeit auch im westfälischen Oberzentrum an einem ebenso einprägsamen wie nachhaltigen Vorstellungsbild laboriert, das im Unterschied zu den lieb gewonnenen historisierenden Surrogaten der Innenstadt einen einsetzenden oder noch bevorstehenden Strukturwandel emotional nachvollziehbar gestalten und zugleich emblematisch manifestieren soll. Dass solche Umbruchprozesse in einer Verwaltungs- und Studentenstadt anders als etwa im Ruhrgebiet ausfallen, liegt auf der Hand. Umso erstaunlicher erscheinen die aktuellen Lösungsmodelle, die je nach Standpunkt ins Gegenteil umzuschlagen drohen, erfährt doch das negative Image der Etappenstadt oder des Durchlauferhitzers im neuen alten Hafen nahezu programmatisch einen Kulminationspunkt.
Vor allem die emotionale wie konzeptuelle Unschärfe des Komplexes zwischen geringer kultureller Halbwertzeit, freundlichem Konsum und symbolischem Kapital bildet den Ausgangspunkt für die poetische Zäsur, die das Projekt „Hafenarbeiter - From Dusk Till Dawn" setzt. Dabei bleibt der mahnende Zeigefinger wohltuend gesenkt, denn abseits eines wenig produktiven kulturpessimistischen Lamentierens geht es um die Untersuchung ästhetischer und sozialer Potentiale, die sich den herrschenden Gegebenheiten verdanken. So werden in einem vordefinierten Zeitraum planvoll ausgesuchte Stellen des Stadthafens mit projizierten Bildern exponiert. In Anwendung eines gleich bleibenden Verfahrens zeigen die Lichtbilder im Minutentakt alternierend tondofömig gerahmte, auf Fernsicht hin angelegte Negativporträts zweiundzwanzig unterschiedlicher Personen, die eine spezifische Affinität zum Hafenkontext auszeichnet. Einzig Größe und Grundfläche der Projektionen variieren, abhängig von malerischen Vorgehensweisen und Fragestellungen, die der Entstehung der Arbeiten zu Grunde liegen. In Schwarzweiß werden die Protagonisten vom Einsetzen der Dämmerung bis zum Morgengrauen zwischen Verflüchtigung und Verfestigung im Wechselspiel der Lichtintensitäten mit den Bildgründen assimilieren oder ihre Oberflächen ornamentartig überziehen. Die Dargestellten selbst sind physiognomisch ikonenhaft reduziert, was ihre Abbilder ganz unprätentiös gleichsam stellvertretend zu allgemeinen Identifikationsfolien stilisiert, zumal individuelle Geschichten unerzählt bleiben. Und dort, wo die Projektionen im allabendlichen Defilee spotartig auftauchen, betreiben sie ein rätselhaftes Anhalten im Bilde, das unautoritär den Blick für das Gewohnte schärft und dazu animiert, aus ungeahnten Perspektiven das noch Unbekannte im bislang vertraut Geglaubten zu entdecken: Ein lustvolles Unterfangen, das Hand in Hand mit einer gewissen Vergeblichkeit geht, insofern die Entschleunigung samt des auratischen Lichtbildes von der Zeit eingeholt wird. In der Folge wächst der Eindruck einer unabwendbaren Transitorik, entäußert im seismographischen Aufscheinen, das sich für den labilen Moment zwischen Glühen und Verglimmen mit dem Bildträger verbrüdert, um dann naturgemäß im Rhythmus der Nacht-Tag-Wende wieder zu verblassen. Was bleibt, ist ein imaginäres Nachbild als Sediment der Projektion, deren diffuses Echo im Kopf der Betrachter widerhallt.
Text: Marcus Lütkemeyer
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Am 11. August 1899 wurde der Dortmund-Ems-Kanal eingeweiht: Die jahrhundertealte Idee einer schiffbaren Wasserverbindung Westfalens mit der Nordsee war mit dem 282 Kilometer langen Kanal Wirklichkeit geworden. Zunächst war er kein Verbindungsglied zwischen bereits bestehenden Wasserstraßen, sondern ausschließlich ein Wassertransportweg vom Dortmunder Industriegebiet an Münster vorbei zur Nordsee. Später wurde die südliche Strecke des Dortmund-Ems-Kanals ein wichtiges Teilstück der Wasserverbindung vom Rhein zur Weser.
Am 15. und 16. Oktober 1899 wurde der münsterische Hafen eröffnet. Für die Wahl des Hafengeländes waren die Nähe zur Stadt und die gute Eisenbahnanbindung ausschlaggebend. Die Länge des als Stichhafen vom Kanal abzweigenden Hafenbeckens betrug etwa 740 Meter, die mittlere Breite 58 Meter. Direkt am Hafenufer lag ein Gleis für die fahrbaren Dampfkräne. Die Stadt errichtete am nördlichen Ufer ein großes dreigeschossiges Lagerhaus, an das sich eine offene Lagerhalle und das repräsentative Hafenverwaltungsgebäude anschlossen. Am Albersloher Weg befanden sich Gebäude städtischer Versorgungseinrichtungen wie die des Elektrizitätswerks und der Gasanstalt. Bereits kurz nach Eröffnung des Hafens hatten sich zahlreiche Firmen im Hafengebiet niedergelassen und dort umfangreiche Lager-, Betriebs- und Produktionsstätten errichtet.
An der Überführung des Albersloher Weges über den Kanal entstand im Jahr 1901 der Privathafen der Spedition Peters, den die Stadt Münster 1913 übernahm. Der münsterische Hafen war in erster Linie ein Importhafen für land- und forstwirtschaftliche Produkte. Vor dem Ersten Weltkrieg war Münster nach Duisburg der bedeutendste Getreideumschlagplatz in Nordwestdeutschland. Seit Mitte der 1930er Jahre wurden immer mehr Baustoffe im münsterischen Hafen umgeschlagen: Sie wurden vor allem für die zahlreichen Militärbauten im Rahmen der Aufrüstung des Dritten Reiches benötigt.
Der Zweite Weltkrieg begann 1939 mit dem Überfall des Deutschen Reiches auf Polen. Schon bald danach bekam die münsterische Bevölkerung die Auswirkungen des Krieges zu spüren: Münster wurde das Ziel von insgesamt 112 Bombenangriffen. Die ersten Angriffe auf Münster in den Jahren 1940–1942 galten noch vorrangig den Verkehrs- und Wirtschaftsanlagen, so auch dem Hafengebiet. Die schwersten Zerstörungen mit über 50 Prozent der während des gesamten Luftkriegs auf die Stadt abgeworfenen Bomben erfolgten in den letzten sieben Kriegsmonaten.
Seit Kriegsbeginn war zwar ein kontinuierlicher Rückgang des Güterumschlags im Hafen festzustellen, dennoch betrug er 1944 noch über 250000 Tonnen. Die Aufrechterhaltung eines Warenumschlags in dieser Größenordnung ist wohl nur dadurch möglich gewesen, dass städtische Betriebe und viele Firmen im Hafen bei der Produktion wie auch bei Aufräumungsarbeiten nach den Bombenangriffen in nicht geringem Umfang Kriegsgefangene und Fremdarbeiter einsetzten.
Am Ende des Krieges waren die münsterischen Hafenanlagen weitgehend zerstört, doch bereits am 2. März 1946 waren die Kais und Böschungen sowie vier Kräne, ein Exhaustor und ein Elevator so weit instand gesetzt, dass der münsterische Stadthafen wieder in Betrieb genommen werden konnte. 1946 wurden im Hafen über 145000 Tonnen Schiffsladung umgeschlagen, wovon lediglich 220 Tonnen ausgeführt wurden. Die eingeführte Ware bestand zu fast 80 Prozent aus Baustoffen für den Wiederaufbau.
Von kleineren Schwankungen abgesehen, waren die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von einem stetigen Aufwärtstrend geprägt, der 1962 seinen Höhepunkt erreichte. Fast 4300 Schiffe liefen in diesem Jahr in Münster ein – ein nie wieder erreichter Höchstwert. Seit Mitte der 1960er Jahre bis heute hat der Stadthafen Münster zunehmend an Bedeutung verloren. Im Jahr 2005 wurden nur noch 281 einlaufende Schiffe im Hafen registriert. Ein Vergleich zwischen Einfuhr und Ausfuhr lässt deutlich erkennen, dass der Hafen Münster von Beginn an bis heute in erster Linie ein Importhafen gewesen ist.
Seit Mitte der 1960er Jahre war der Bereich um den Stadthafen Münster zu einem nur noch wenig attraktiven Industrie- und Gewerbegebiet geworden. In den letzten Jahren begann jedoch eine umfangreiche Sanierung und Umgestaltung des Hafengebiets. Der nördliche Bereich, der so genannte Kreativkai, ist für die Kunst- und Kulturszene vorgesehen, der südliche hingegen soll der Industrieansiedlung vorbehalten bleiben. Die Neuschaffung von Wohnraum ist in den Bebauungsplänen nicht vorgesehen. Am Kreativkai ist man darum bemüht, die alten Gebäude, die den Zweiten Weltkrieg überstanden haben und deren Errichtung teilweise in die Zeit um 1900 zurückreicht, nicht abzureißen, sondern sie zu sanieren und zu erhalten.
Text:Axel Schollmeier
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